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Guiseppe Piazzi 1746-1826
Guiseppe Piazzi
(1746-1826)


Friedrich Wilhelm Bessel 1784-1846
Friedrich Wilhelm Bessel
(1784-1846)


Joseph von Fraunhofer 1787-1826
Joseph von Fraunhofer
(1787-1826)


Friedrich Georg Wilhelm Struve 1793-1864
Friedrich Georg Wilhelm
Struve (1793-1864)



K.A.Strand, US Naval Obs.
(1907-2000)





Der Doppelstern 61 Cygni, (61 Cyg), STF2758AB

Stichworte : Friedrich Wilhelm Bessel, Königsberger Heliometer, Eigenbewegung und Parallaxe

J.S.Schlimmer (8/2005, aktualisiert 08/2011)

Prolog

Meine erste Begegnung mit Bessels Werk liegt inzwischen 15 Jahre zurück. Damals berechnete ich Eigenschwingungsformen von runden Platten. Während die Eigenschwingungen von quadratischen Platten mit Hilfe einfacher Sinus- bzw. Kosinus Funktionen beschrieben werden, benötigt man zur Berechnung der Eigenschwingungsformen runder Platten die Besselschen Funktionen*, die auch als Zylinderfunktionen bekannt sind. Den meisten Amateurastronomen ist die Bessel Funktion 1. Gattung 0-ter Ordnung bekannt : das Quadrat dieser Funktion beschreibt unter anderem den Intensitätsverlauf des Lichtes bei einer Sternabbildung durch eine kreisrunde Öffnung. 

Obwohl ich mich damals noch nicht mit der Astronomie beschäftigte, weiß ich seit dieser Zeit, dass Friedrich Wilhelm Bessel der erste Astronom war, dem es gelang die Fixsternparallaxe anhand von 61 Cygni zu bestimmen und damit die Richtigkeit des heliozentrischen Weltbildes zu beweisen. Im Jahre 1999 richtete ich zum ersten Mal mein 8 x 40 Fernglas auf das Sternbild Schwan (lat. Cygnus) und konnte 61Cygni als zwei rot-orange, dicht beieinander stehende Punkte vorm Hintergrund der Milchstraße erblicken.

Taucht man etwas tiefer in die Geschichte der Entdeckungen und der Erforschung des Weltalls ein, so wird immer wieder deutlich, wie sehr der Erfolg auf der Entwicklung der Technik beruht. Daher lohnt sich auch der Blick auf das Instrument, mit dem es Bessel gelang die Fixsternparallaxe zu bestimmen.

Der Stern 61 Cygni

Das Sternbild Schwan steht im Sommer hoch im Zenit und ist neben vielen bekannten Deep Sky Objekten auch reich an Doppelsternen. Mit dem Fernglas ist der Doppelstern 61 Cygni leicht zu finden, wenn man von Sadr (Gamma Cygni) aus ca. 5° nach Osten schwenkt. Seine Komponenten (5,4 mag bzw. 6,1 mag), haben einen Abstand von ca. 31” (2004) und heben sich mit den Spektraltypen K5V und K7V deutlich als zwei orange-rote Punkte vom Hintergrund der Milchstraße ab. Alleine dieser Anblick lohnt bereits das Aufsuchen von 61 Cygni. Mit einem 8x40 Fernglas läst sich 61 Cygni bereits in zwei Komponenten auflösen.

Sternbild Schwan und Milchstraße 61 Cygni Canon EOS400d

Abbildung 1a: Aufnahme von der Sommermilchstraße im Schwan im August 2001, Minolta 50/4, 8 min ohne Filter und 6 min mit einem Rotfilter auf Kodak E200 belichtet, 1b: Canon EOS400d, 1500 mm, 30 Sekunden, September 2008

Die Entdeckung der Doppelsternnatur von 61 Cygni

Die Entdeckung der Doppelsternstruktur im Jahre 1753 geht auf den englischen Astronomen James Bradley zurück. Auch der Mannheimer Astronom Christian Mayer erkannte im Jahre 1777 die Doppelsternnatur von 61 Cygni. Der Abstand betrug damals 13,8" der Positionswinkel lag bei 49°. Obwohl 61 Cygni in Mayers Doppelstern Katalog nicht namentlich aufgeführt wurde, lässt er sich anhand der Position für das Jahr 1778 eindeutig identifizieren. Auch Friedrich Wilhelm Herschel beobachtet die Doppelsternnatur von 61 Cygni : "es ist der Stern der Tau Cygni vorangeht. Leicht ungleich. Der größere [Stern] ist leicht rötlich, der kleinere [Stern] ist rot, oder der größere ist rot, der kleinere granat. Distanz 16,7", Position 36° 28´nord ".

Abbildung 2 zeigt die scheinbare Umlaufbahn der Komponenten A und B nach D.L. Gorshanov, N.A. Shakht & A.A. Kisselev (Pko2006b). Die Umlaufzeit beträgt ca. 678 Jahre (siehe Abbildung 2) und ist retrograd, also gegen den Uhrzeigersinn gerichtet. Zusätzlich sind alle Positionsmessungen in der Zeit von 1753 bis 2011 dargestellt. Die Werte stammen aus dem WDS Katalog [1]. 


Abbildung 2: Umlaufbahn von 61 Cygni AB nach Pko2006b und Messungen in der Zeit von 1753-2011 nach den Messdaten aus dem WDS Katalog [1]

Die Eigenbewegung von 61 Cygni

Die Eigenbewegung von 61 Cygni wurde zunächst von dem italienischen Astronomen Giuseppe Piazzi im Jahre 1803/1804 bestimmt. Er ermittelte einen Wert von 5,335"/Jahr in RA und 2,930"/Jahr in Deklination. Piazzi verglich den Wert aus seinen Beobachtungen auch mit weiteren Werten, die sich aus den Beobachtungen von Flamsteed und Bradley ergaben [11]. Die Werte von Bradley stimmen dabei mit den heute bekannten Werten am besten überein. Piazzi erkannte damals auch die Möglichkeit, anhand der Eigenbewegung geeignete Sterne für die Messung der Parallaxe ausfindig zu machen, jedoch scheiterten seine eigenen Messungen der Parallaxe an der Ungenauigkeit seiner Instrumente und der Methode der Zenitdistanzen.

Einige Jahre später begann Friedrich Wilhelm Bessel mit seinen Untersuchungen über die Eigenbewegung von 61 Cygni : "In der (..) Überzeugung, die Doppelsterne bilden eigene Systeme für sich, hoffte ich längst, bey meiner Bearbeitung der Bradley’schen Observationen, einen directen Beweis dafür zu finden. In der That zeigten mehrere nahe bey einander stehenden Sterne, durch ihre gemeinschaftliche Bewegung, eine Verbindung; allein der merkwürdigste von allen ist Nro. 61 Cygni nach Flamsteed’s Verzeichnisse, - ein Doppelstern, der sich mit großer Geschwindigkeit fort bewegt, dessen Sterne offenbar durch das Band der Attraction mit einander verbunden sind, indem sie seit 60 Jahren einen nicht unbeträchtlichen Theil ihrer Bahnen um ihren gemeinschaftlichen Schwerpunct beschrieben haben. (...) Die Bestimmung der eigenen Bewegung des Sterns Nro. 61 habe ich auf Flamsteed’s, Bradley’s, D’Agelet’s und Lalande’s Beobachtungen gegründet. Die Beobachtungen von Hevel und Pazzi habe ich nicht berücksichtigt; (...)" [12].

Aus der gemeinsamen Eigenbewegung zog Bessel den Schluss : "Die durch die angeführten Beobachtungen erwiesene eigene Bewegung der beyden Sterne läßst keinen Zweifel mehr übrig, daß sie wirklich, und nicht blos scheinbar, einen Doppelstern ausmachen." [12]

Die Parallaxe

Wenn sich die Erde um die Sonne dreht – was zu jener Zeit noch zu beweisen war – so muss sich im Laufe eines halben Jahres die Position eines nahen Fixsterns gegenüber dem weiter entfernten Hintergrund ändern. Diese scheinbare Positionsänderung wird allgemein als Parallaxe bezeichnet. Anhand der Parallaxe ist es aber auch möglich, die Entfernung zwischen Sonne und Sterne zu bestimmen.
Woher weiß man jedoch, welche Sterne unserer Sonne näher stehen als andere Sterne ? Man ging im 18. und 19. Jahrhundert davon aus, dass sowohl die Entfernung sehr heller Fixsterne als auch die Entfernung der Sterne mit großer Eigenbewegung geringer ist, als die Entfernung von Sternen, die nicht so hell sind oder bei denen keine Eigenbewegung festzustellen ist. Nur solche Sterne kamen als Kandidaten zur Bestimmung der Parallaxe in Frage.

Die Suche nach der Entfernung der Sterne

Bereits der italienische Astronom Giuseppe Piazzi bestimmte im Jahr 1805 bei zahlreichen hellen Sternen die Parallaxe. Seine Werte lagen, je nach Stern zwischen 2“ und 10“, ein Wert der bei weitem zu groß war aber zunächst mangels an weiteren, unabhängigen Beobachtungen ohne Widerspruch bestehen blieb. In Königsberg untersuchte der deutsche Astronom Friedrich Wilhelm Bessel zunächst die Positionsbestimmungen, die der englische Astronom James Bradley von Sirius und Vega mit einem Meridiankreis bestimmt hatte : "Ich suchte daher alle von Bradley, in dem Laufe von 12 Jahren, auf der Greenwicher Sternwarte beobachteten Geradenaufsteigungsunterschiede (Geradenaufsteigung = Rektaszension) von Alpha Canis Majoris und Alpha Lyrae auf, indem sich, wegen ihrer Annäherung an 180°, in ihnen die Summe der Parallaxen beider Sterne verraten mußte (…)“ [2].

Bessel erkannte aus diesen 207 Werten, dass die gesuchte Parallaxe deutlich kleiner wie 1“ sein musste. Ferner erkannte er, dass die absolute Bestimmung der Sternörter für die Bestimmung der Parallaxe nicht von Vorteil ist, auch die Genauigkeit der damaligen Instrumente (in der Regel Meridiankreise, Passageinstrumente) reichte ihm bei weitem nicht aus. Präzisionsmessungen mit einem Fadenmikrometer waren zur damaligen Zeit nicht möglich, da die Teleskope über keine automatische Nachführung verfügten. Eine Ausnahme bildete der Dorpater Refraktor, der einen speziellen, ruckfreien Uhrwerkantrieb besaß. Mit diesem Refraktor versuchte Friedrich Gustav Wilhelm Struve ab dem Jahr 1837 die Entfernung von Alpha Lyrae (Vega) zu bestimmen (vergleiche Fraunhofer Refraktor) [3]. Sein Ergebnis veröffentlichte er im Jahr 1840: 12,08 Lichtjahre. Heute geht man von einer Entfernung von 25,3 Lichtjahren aus.

F.W. Bessel und das Heliometer der Königsberger Sternwarte

Für seine eigenen Beobachtungen ließ sich Bessel von Fraunhofer ein Heliometer bauen. Die Eigenarten des Heliometers und die Wahl des Sterns 61 Cygni für die Bestimmung der Parallaxe stehen im direkten Zusammenhang miteinander. Um diesen Zusammenhang besser verstehen zu können, betrachten wir zunächst Bessels Heliometer etwas genauer.

Heliometer

Abbildung 3: Das Königsberger Heliometer von Joseph von Fraunhofer [4]

Ein Heliometer ist ein spezielles Teleskop zur Bestimmung des scheinbaren Sonnendurchmessers, bei dem die Objektivlinse in der Mitte zweigeteilt ist. Beide Objektivhälften können einzeln gegeneinander verschoben werden. Da jede Objektivhälfte ein eigenes Bild liefert, können die Objektivhälften so gegeneinander verschoben werden, dass die Sonnenränder genau aufeinander liegen. Anhand der Verschiebung kann der Abstand auf einer Skala abgelesen werden. Natürlich können mit einem Heliometer auch Doppelsterne mit großer Präzision gemessen werden. Über die Vorteile eines Heliometers gegenüber eines Teleskops mit Fadenmikrometer schrieb Bessel : "Das Heliometer hat nämlich ihm eigentümliche Vorzüge, welche seiner Anwendung diese größere Ausdehnung geben : es umfaßt weit größere Entfernungen als das Fadenmikrometer; es erfordert keine Art von Fadenbeleuchtung; es ist endlich, auch ohne Uhrwerk, einer Störung durch die tägliche Bewegung nicht ausgesetzt (...)“ [4].

Am 14. und 15. Oktober 1829 wurde das Heliometer in einem eigens dafür gebauten Turm der Königsberger Sternwarte aufgestellt. Es hatte eine Brennweite von 8 Pariser Fuß (ca. 2,5 m) und eine Öffnung von 70 Linien (ca. 160 mm). Damit ergab sich ein Öffnungsverhältnis von 1:16 bei normaler Beobachtung bzw. 1:32 bei Messungen. Die Aufstellung erfolgte parallaktisch. Das Fußgestell und die Uhrwerknachführung waren ähnlich dem des Dorpater Refraktors : " (...) was Struve von der Leichtigkeit der Drehungen** um beide Axen, und von der Regelmäßigkeit der Wirkung des Uhrwerks*** gesagt hat, gilt genau auch von dem Heliometer (…)“ (siehe Anmerkungen) [4].

Der Messbereich, d.h. die Verschiebung der beiden Objektivhälften betrug 1° 52´, sie wurde über Schrauben vom Okular aus bedient. Jede Objektivhälfte konnte separat eingestellt werden. Die Schraubenköpfe hatten einen Durchmesser, der eine Einteilung von 1/20“ erlaubte. Verschiebt man beide Objektivhälften gegeneinander, so überlappen sich die Brennpunkte vom Objektiv und Okular nicht mehr. Daher muss bei der Messung nachfokussiert werden. Um diesen Nachteil zu vermeiden wollte F.W. Bessel die Objektivführungen auf einer Zylinderfläche angebracht haben, doch Joseph von Fraunhofer sah sich nicht in der Lage, dies mit gewohnter Präzision auszuführen. Über die Abbildungsleistung berichtete Bessel : "Ich habe gefunden, daß die aus dem schiefen Durchgange der Lichtstrahlen durch die Objektivhälften entstehende Undeutlichkeit der Bilder, selbst für die Grenze der Verschiebung noch nicht merklich ist; dieses ist wahrscheinlich eine Folge der Einrichtung des Objektivs, von welcher Fraunhofer mir mitteilte, daß sie so getroffen sei, daß die Abirrung für Strahlen außer der Achse kompensiert werde. Ein anderes Mittel, diesen Erfolg hervorzubringen, welches ich auch Fraunhofer vorschlug, wäre die Verschiebung der Objektivhälften nicht auf einer Ebene, sondern auf einer Zylinderfläche, deren Achse durch den Brennpunkt geht, zu bewirken; allein er zog die Ebene vor, weil die Einrichtung des Mechanismus der Verschiebung dadurch einfacher werde (...)" [4].

Zu dem Heliometer gehörten 5 Okulare, die eine Beobachtung von 45 bis 290-facher Vergrößerung ermöglichten. Ein Jahr musste Bessel auf gute Beobachtungsbedingungen warten. Anhand des Doppelsterns 30 Zeta Bootis bestimmte er dann den Durchmesser der zentralen Beugungsscheibchen. Diese hatte einen Durchmesser von 0,72“. Aus Bessels Bericht über das Heliometer der Königsberger Sternwarte geht zweierlei hervor :

  • der Dorpater Refraktor war zum damaligen Zeitpunkt mit Abstand das beste Teleskop der Welt. Sowohl die optische Abbildungsqualität des Dorpater Refraktors als auch die Mechanik war Bessels Maßstab für sein eigenes Instrument.
  • mit dem Heliometer für die Königsberger Sternwarte schuf Joseph von Fraunhofer sein zweites Meisterwerk, dessen Inbetriebnahme er allerdings nicht mehr erlebte. Bauzeit : von 1824 bis 1829

Die Parallaxe von 61 Cygni

Zur Bestimmung der Parallaxe wählte Bessel 61 Cygni aus. Damals war 61 Cygni der Stern mit der größten bekannten Eigenbewegung. Für die Wahl von 61 Cygni gab es aber noch einen weiteren Grund : "Ich wählte den 61sten Stern des Schwans zu ihrem Gegenstande, und zwar nicht allein wegen der größeren Aussicht auf eine merkliche Parallaxe, die er, wegen seiner großen Eigenbewegung darzubieten schien, sondern auch weil er ein Doppelstern ist, den man mit vorzüglicher Genauigkeit beobachten kann, indem man das Bild, welches die eine Hälfte des Heliometer-Objektives von dem zu vergleichenden Stern macht, in die Mitte der beiden Sterne des von der anderen Hälfte abgebildeten Doppelsterns legt; auch empfahl er sich durch seinen Ort am Himmel, der zu allen Jahreszeiten, einen Monat ausgenommen, bei Nacht in hinreichende Höhe über dem Horizonte gelangt(...)“ [2].

Jede Objektivhälfte liefert ein eigenständiges Bild. Im Normalfall (kein Abstand zwischen den Objektivhälften) liegen beide Bilder im Fokus deckungsgleich übereinander. Verschiebt man die Objektivhälften gegeneinander, so verschieben sich auch beide Bilder in der Fokalebene gegeneinander. Die beiden Komponenten von 61 Cygni dienten also zur Referenz : "Im Jahre 1835 war ich genötigt, drei Monate in Berlin zuzubringen, um dort die Pendellänge durch eine Reihe von Versuchen zu bestimmen, weil ich ihrem Resultate beträchtliche Genauigkeit zu geben beabsichtigte. Nach ihrer Beendigung erschien der Halleysche Komet, der jeden heiteren Augenblick für sich verlangte. Das Jahr 1836 brachte andere Verhinderungen; allein im August 1837 konnte ich auf ununterbrochene Fortsetzung einer Beobachtungsreihe von 61 Cygni rechnen. Die Aussicht auf ihren Erfolg hatte durch die Hoffnung, welche Struve nach seinen Beobachtungen von Alpha Lyrae unterhielt, neue Unterstützung erhalten, so daß diese Hoffnung auch beitrug, die Zeitfolge der Beobachtungen zu Gunsten derer über die jährliche Parallaxe anzuordnen. Was ich jetzt davon mitteile, beruht auf ihrer Fortsetzung bis zum 2. Oktober 1838; sie werden noch weiter fortgesetzt und daher spätere Nachträge zur Folge haben (…) Wenn man die jährliche Parallaxe von 61 Cygni = 0”3136 annimmt, so erhält man seine Entfernung in mittleren Entfernung der Erde von der Sonne ausgedrückt = 657700 und die Zeit, welche das Licht gebraucht, um diese Entfernung zu durchlaufen  = 10,28 Jahre.”[2].

Die Bestimmung der Parallaxe anhand von 61 Cygni ist umso erstaunlicher, wenn man bedenkt, dass die enorme jährliche Eigenbewegung von 5,2" berücksichtigt werden musste. Alleine die Eigenbewegung beträgt das 18-fache der Parallaxe ! Eine erfolgreiche Korrektur ist jedoch nur dann möglich, wenn die Eigenbewegung gleichförmig erfolgt. Dies setzt voraus, dass der gemeinsame Schwerpunkt von 61 Cygni AB genau in deren Mitte liegt, die Massen der beiden Komponenten also gleich groß sind. Auch eine mögliche Parallaxe der Vergleichssterne musste berücksichtigt werden : "Die bisherigen Beobachtungen deuten also an, (...) daß wenn nicht beide Vergleichssterne, doch wenigstens der Stern b selbst eine merkliche Parallaxe besitzt." [2].

In einer weiteren Untersuchung ein Jahr später, gab Bessel die Parallaxe der Vergleichssterne an und nannte auch für 61 Cygni einen neuen Wert : "Die längere Fortsetzung der Beobachtungen hat also eine Vergrößerung der jährlichen Parallaxe von 0,0347" herbeigeführt. Der jetzigen Bestimmung entspricht die Entfernung = 592200 mittleren Entfernungen der Erde von der Sonne, welche das Licht in 9 1/4 Jahren durchläuft." [6].

Vor dieser zweiten Messreihe wurde das Heliometer komplett zerlegt und überholt. Zudem wurden an den Messeinrichtungen verschiedene Modernisierungen vorgenommen. Die zweite Messreihe wurde von Herrn Schlüter, einem Assistenten Bessels durchgeführt, während Bessel sich auf einer Reise in Berlin und Hamburg aufhielt [6].

Nach heutigem Kenntnisstand (Hipparcos Katalog) beträgt die Parallaxe von 61 Cygni (A) 0,287" von 61Cygni (B) 0,285" [7]. Hieraus ergibt sich eine Entfernung von 11,4 Lichtjahren. Somit gehört 61 Cygni auch heute noch zu den 20 sonnennächsten Fixsternen.
F.W. Bessel war auch der erste Astronom, der bei seinen Messungen den Einfluss der Temperatur auf die Messergebnisse berücksichtigte. Da die Messungen zu allen Jahreszeiten durchgeführt wurden, lagen die Temperaturen zwischen 66° F (ca. 19° C) und -3° F (ca. -20°C). Neben dem Einfluss der Temperatur hatte F.W. Bessel bei seinen Messungen auch die Refraktion des Lichtes durch die Atmosphäre sowie die Aberration des Lichtes berücksichtigt.


Eigene Untersuchungen über die Eigenbewegung von 61 Cygni

Während die Bestimmung der Parallaxe auch mit heutigen Amateurteleskopen immer noch schwierig ist, so ist die Beobachtung der Eigenbewegung hingegen sehr einfach. Allein durch die große Eigenbewegung gehört 61 Cygni zu den interessantesten Sternen. Die jährliche Eigenbewegung von 61 Cygni beträgt rund 5,2" (in RA : 4,1"/a, in Deklination : 3,2"/a).



Abbildung 4: a) 61 Cygni im September  2008, R200SS, 1500 mm Brennweite, Canon EOS400D, 30 Sekunden b)  im September 2013, UNC30515, 1500 mm Brennweite, Canon EOS1100D modifiziert, 15 Sekunden


 61 Cygni Zeichnung
Abbildung 5: Zeichnung von 61 Cygni bei 120-facher Vergrößerung im September 2004. Die Zeichnung wurde im Oktober 2004 ergänzt , Zeichnung groß (ca. 80 kB)


Berechnung der Eigenbewegung

Zur Berechnung der Eigenbewegung von 61 Cygni werden die Beobachtungsdaten, die in Form von Polarkoordinaten vorliegen zuerst in kartesische Koordinaten umgewandelt. Ursprung des Koordinatensystems ist die Komponente A. Liegen mehr als 2 Beobachtungsdaten vor, kann normalerweise eine Ausgleichsgerade kalkuliert und für die Berechnung der Eigenbewegung herangezogen werden. Eigene Beobachtungen wurden rot markiert.

a) Eigenbewegung zwischen A und C:


Abbildung 6: Die relative Eigenbewegung von 61 Cygni AC

Die Beobachtungsdaten stammen aus dem WDS Katalog. Die Berechnung einer Ausgleichsgerade und der Eigenbewegung von 61 Cygni ist nicht möglich, da zwei der Beobachtungswerte falsch sind oder eine merkliche Eigenbewegung der Komponente C vorliegt.

b) Eigenbewegung zwischen A und D:


Abbildung 7: Die relative Eigenbewegung von 61 Cygni AD

Wie a) Die Beobachtungsdaten stammen aus dem WDS Katalog. Die Berechnung einer Ausgleichsgerade und der Eigenbewegung von 61 Cygni ist nicht möglich, da zwei der Beobachtungswerte falsch sind oder eine merkliche Eigenbewegung der Komponente C vorliegt.

c) Eigenbewegung zwischen A und E:


Abbildung 8:
Die relative Eigenbewegung von 61 Cygni AE

μx = 4013 Millibogensekunden/Jahr [Hipparcos: 4133]
μy = 3123 Millibogensekunden/Jahr [Hipparcos: 3202]
μ   = 5085 Millibogensekunden/Jahr [Hipparcos: 5228]

Abbildung 8 zeigt die Eigenbewegung zwischen AE. Im WDS sind 5 Beobachtungen gelistet, eine weitere vom September 2008 wurde von mir hinzugefügt. Es lässt sich eine Ausgleichsgerade mit geringen Residuen berechnen, wenn man eine Beobachtung aus dem Jahre 1983 (rot dargestellt) ausklammert. Eine weitere Beobachtung aus dem Jahre 1918 (x=65, y=-298) passt zwar aus Sicht der Residuen hervorragend in diese Messreihe, doch führt der Datumswert zu völlig falschen Ergebnissen mit einer Eigenbewegung von über 12000 Millibogensekunden  / Jahr. Zur Berechnung der Eigenbewegung wurden daher die Messungen von 1981 und 2008 verwendet.

d) Eigenbewegung zwischen A und F:


Abbildung 9: Die relative Eigenbewegung von 61 Cygni AF

μx = 4123 Millibogensekunden/Jahr [Hipparcos: 4133]
μy = 3247 Millibogensekunden/Jahr [Hipparcos: 3202]
μ   = 5249 Millibogensekunden/Jahr [Hipparcos: 5228]

Die Komponente F wurde bislang lediglich in den Jahren 1918 und 1921 beobachtet. Anhand der J2000 Koordinaten konnte sie im Aladin sky atlas [10] eindeutig identifiziert werden. Mit weiteren Messungen des Autors aus dem Jahre 2008, 2011 und 2013 lässt sich die Eigenbewegung von 61 Cygni sehr gut bestimmen.

e) Eigenbewegung zwischen A und G:


Abbildung 10: Die relative Eigenbewegung von 61 Cygni AG


μx = 4089 Millibogensekunden/Jahr [Hipparcos: 4133]
μy = 3245 Millibogensekunden/Jahr [Hipparcos: 3202]
μ   = 5220 Millibogensekunden/Jahr [Hipparcos: 5228]

Für die Komponente F gab es bis 2008 nur eine Messung aus dem Jahre 1975 im WDS Katalog. Anhand dieses Wertes und den eigenen Beobachtungen von 2008 wurde die Eigenbewegung berechnet. Zuletzt wurde diese Komponente vom Autor im Jahre 2013 beobachtet.

f) Eigenbewegung zwischen A und H:


Abbildung 11: Die relative Eigenbewegung von 61 Cygni AH

μx = 4153 Millibogensekunden/Jahr [Hipparcos: 4133]
μy = 3170 Millibogensekunden/Jahr [Hipparcos: 3202]
μ   = 5225 Millibogensekunden/Jahr [Hipparcos: 5228]

Abbildung 11 zeigt die relative Eigenbewegung zwischen AH. Bei den Messwerten in Abbildung 11 handelt es sich um die Daten aus dem WDS Katalog in Kombination mit eigenen Messungen die zwischen 2004 und 2013 erfolgten. Die Eigenbewegung wurde aus eigenen Messungen von 2004,78 und 2008,69 berechnet.

g) Eigenbewegung zwischen A und (2) = SMR 1AI:


Abbildung 12: Die relative Eigenbewegung von 61 Cygni A2, SMR 1 AI


61 Cygni proper motion
Abbildung 13 : Eigenbewegung von 61 Cygni zwischen 2004 und 2013, in den Jahren 2011 und 2012 wurde der Hintergrundstern I von der Komponente A überdeckt.


μx = 4083 Millibogensekunden/Jahr [Hipparcos: 4133]
μy = 3203 Millibogensekunden/Jahr [Hipparcos: 3202]
μ   = 5190 Millibogensekunden/Jahr [Hipparcos: 5228]

Diese Komponente ist seit dem Jahr 2009 als SMR 1AI im WDS Katalog aufgeführt [15].
Sie befindet sich derzeit nahe 61 Cygni A. Aus den Messungen lassen sich die minimale Distanz, der Positionswinkel und der Zeitpunkt für die größte Annäherung berechnen. Der kleinste Abstand für 61 Cygni AI wurde im Jahr 2011,6 erreicht.

Polarkoordinaten für die größte Annäherung :

ρ = 3,07''
φ = 308,0°

Zeitpunkt der größten Annäherung :

Jahr = 2011,6 ± 0,1


Ergebnis


Die Werte für 61 Cygni AF, 61 Cygni AG und 61 Cygni AH stimmen mit dem Ergebnis der Hipparcos Mission [10] sehr gut überein.





Der hypothetische 3. Begleiter von 61 Cygni


Abbildung 14 : Kreidezeichnung auf Tonpapier, 61 Cygni AB mit Zwergstern, J.S. Schlimmer 2008/2009

Die Kreidezeichnung zeigt den Zwergstern, der erstmals im Jahre 1893 von dem deutschen Astronomen J. Wilsing vom Potsdammer Observatorium postuliert wurde. J. Wilsing fand in den Beobachtungsdaten Abweichungen, die er als Bahnstörungen durch einen möglichen unsichtbaren Begleiter interpretierte. Nach J. Wilsing hat dieser hat eine Periode von 22 Monaten. E.E. Barnard griff dieses Thema auf und beobachtete in der Zeit von 1900 bis 1904 in 144 Nächten 61 Cygni. Er entdeckte in seinen eigenen Daten keine periodische Schwankung und schloss daraus, dass es keinen unsichtbaren Begleiter gibt [16].

Im Jahre 1943 postulierte
K.A. Strand erneut anhand von Bahnstörungen einen unsichtbaren Begleiter um 61 Cygni A. Die Massen der drei Komponenten betragen nach Strand MA = 0,58 SM, MB = 0,55 Sonnenmassen und MC = 0,016 Sonnenmassen. Damit wäre der unsichtbare Zwergstern der kleinste Stern überhaupt, dem Wesen nach eher ein Planet als ein Stern. Die Umlaufzeit schätzte Strand auf 4,9 Jahre. [14]

Dieses Thema wurde in den 1970er, 1980 er und 1990er Jahren von verschiedenen Astronomen immer wieder aufgegriffen. Die aktuellsten Arbeiten zu einem möglichen unsichtbaren Begleiter stammen von D.L. Gorshanov, N.A. Shakht, A.A. Kisselev und E.V. Polyakov vom Central Astronomical Observatory in Pulkova
(2004, 2006) . Sie gehen von einer Umlaufzeit von etwa 6,5 Jahren aus. [13, [17]



Anmerkungen

*Die Besselschen Funktionen gehen letztlich aus Arbeiten über die Bahnstörungen von Kometen durch Planeten des Sonnensystems hervor (Dreikörperproblem, Störungsrechnung) : Insbesondere sei hierzu auf die Aufsätze : "Entwicklung einer allgemeinen Methode, die Störungen der Kometen zu berechnen" (1810) und "Untersuchung des Teils der planetarischen Störungen, welcher aus der Bewegung der Sonne entsteht" (1824) verwiesen [8].

**Der Dorpater Refraktor war laut Struve folgendermaßen gelagert : „Mit einem Finger kann man es (das Teleskop) um die im Äquator liegende Achse drehen, mit einer noch weit geringeren Kraft um die Welt-Achse (…)“ [5]

***Die Uhrwerknachführung funktionierte nicht schrittweise, wie dies bei einem normalen Uhrwerk der Fall ist, sondern kontinuierlich : „Wenn so das Fernrohr in Bewegung gesetzt ist, bleibt der Stern selbst bei 700-facher Vergrößerung mitten im Felde ruhig. Kein Schwanken, kein Stoß wird verspürt; man meint mit dem Fernrohre nach dem unbeweglichen Himmel zu schauen.“ [5]



Anhang



Weitere Artikel über 61 Cygni

Wolfgang Vollmann : Projekt 61 Cygni




Quellennachweis

[1] The Washington Double Star Catalog, http://ad.usno.navy.mil/wds/
[2] Bessel, Bestimmung der Entfernung des 61sten Sterns des Schwans, Astronomische Nachrichten Nr. 365, 1839
[3] Struve, Über die Parallaxe des Stern Alpha Lyrae nach Mikrometermessungen am großen Refraktor der Dorpater Sternwarte, Astronomische Nachrichten Nr. 396, 1840
[4] Bessel, Vorläufige Nachricht von einem auf der Königsberger Sternwarte befindlichen großen Heliometer, Astronomische Nachrichten Nr. 189, 1831
[5] Struve, Nachricht von der Ankunft und Aufstellung des Refraktors von Fraunhofer auf der Sternwarte der Kaiserlichen Universität zu Dorpat, Astronomische Nachrichten Nr.75, 1826
[6] Bessel, Ferne Nachricht von der Bestimmung der Entfernung von 61 Cygni, Astronomische Nachrichten Nr. 402, 1840
[7] Hipparcos Catalog : http://archive.ast.cam.ac.uk/hipp/hipparcos.html
[8] Rudolf Engelmann (Herausgeber), Abhandlungen von Friedrich Wilhelm Bessel in drei Bänden, Verlag von Wilhelm Engelmann, Leipzig 1875
[9] ESO HST Guide Star Catalogue, http://archive.eso.org/gsc/gsc
[10] CDS Centre de Données astronomiques de Strasbourg, Simbad
astronomical object database, http://simbad.u-strasbg.fr/simbad/
[11] Fodera-Serio, G., Giuseppe Piazzi and the Discovery of the Proper Motion of 61-CYGNI, JOURN. HISTORY OF ASTRONOMY V.21, NO. 3/AUG, P.275, 1990
[12] Bessel,  IX Über den Doppel-Stern Nro. 61 Cygni, August 1812,
Monatliche Correspondenz zur Beförderung der Erd- und Himmelskunde, Herausgegeben vom Freyherrn F. von Zach, XXVI Band, Gotha 1812
[13] Gorshanov, D. L.; Shakht, N. A.; Kisselev, A. A., Observations of the binary star 61 Cyg on the 26 inch refractor at the Pulkovo observatory,  Astrophysics, Volume 49, Issue 3, pp.386-396, 07/2006
[14] Strand, K. Aa. , 61 Cygni as a Triple System, Publications of the Astronomical Society of the Pacific, Vol. 55, No. 322, p.29-32, 02/1943
[15] J.S.Schlimmer, Double Star Measurements Using a Webcam: Annual Report of 2008, Journal of Double Star Observations, Vol. 5, Nr. 2, 2009
[16]  E.E.Barnard, On the hypothetical disturbing body in the system of 61 Cygni, Astronomische Nachrichten Nr. 172, 1906
[17]
D.L. Gorshanov, N.A. Shakht, A.A. Kisselev, E.V. Polyakov, The Phenomenon of Double Star 61 Cygni: Some Hypothesis on its Satellites, Order and Chaos in Stellar Systems, ASP Conference Series, Vol. 316, 2004



Danksagung

This research has made use of the Washington Double Star Catalog maintained at the U.S. Naval Observatory.
The orbit (figure 2) was calulated with the Binary Star Orbit Calculator of Brian Workman.



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